Donnerstag, 13.10.2016
Kehlkopflose Menschen um Spenden gebracht
Waldheim.
Die Spendenbox verschwand während des Geschäftsbetriebs bei Dierbooks. Die Empörung darüber ist riesengroß.
Von Elke Görlitz
Bei Dierbooks nimmt man kein Blatt vor den Mund, wenn es um den dreisten Diebstahl der Spendenbox geht: „Du mieses kleines Arschloch“, steht auf der Seite des Geschäfts im sozialen Netzwerk Facebook an den Dieb adressiert. Und weiter heißt es: „Wir hoffen, Dir faulen die Hände ab beim Öffnen der Spendenbox. Da stecken die Spenden unserer Kunden und unsere Trinkgelder drin.“
Die Box war im Kassenbereich aufgebaut und gesichert. Im Laden herrscht ein ständiges Kommen und Gehen, sodass Mitarbeiterin Patricia Spruck gar nicht genau sagen kann, wann der Dieb zuschlug. Sicher ist nur: Das Spendenhäuschen verschwand im Laufe des Mittwochs. „Etwa 200 Euro hatten wir darin für die Selbsthilfegruppe Mittweida und Umgebung des Bezirksverbands Chemnitz der Kehlkopflosen gesammelt“, sagt Patricia Spruck. Sich an fremdem Eigentum zu vergreifen, sei schon schlimm, aber Geld zu stehlen, das für Menschen mit diesem Handicap gedacht war, sei umso verwerflicher. Die Spendenbox sei gesichert angebracht gewesen, umso unerklärlicher ist Patricia Spruck ihr Versschwinden. Das trifft sie besonders, „weil wir zu dem Schicksal Kehlkopfloser durch einen unserer Stammkunden eine ganz persönliche Beziehung haben,“ sagt sie
Heli, nennt Particia Spruck den Mann liebevoll, der Peter Helisch heißt und aus Gebersbach kommt. Er ist der stellvertretende Vorsitzende der Selbsthilfegruppe und kann gar nicht fassen, was passiert ist. „Jemandem, der so gestellt ist wie wir, etwas wegzunehmen, ist mehr als böse“, sagt er. In der Selbsthilfegruppe war der Diebstahl schon am Mittwochabend Thema. Die Mitglieder sind selbst am Kehlkopf operiert oder kehlkopflos.
Aber auch Angehörige gehören dazu. „Kehlkopflos nach Krebserkrankung, das bedeutet für Betroffene ein schweres Schicksal“, schildert Jens Sieber, der Vorsitzende der Selbsthilfegruppe. „Plötzlich werden sie herausgerissen aus dem bis dahin geregelten Alltag, was dazu führen kann, dass sie sich im schlimmsten Fall isolieren und keinen Spaß mehr am Leben finden“, erzählt er. Ihm wurde vor acht Jahren der Kehlkopf entfernt, seit 2010 leitet er die Gruppe. „Wir haben uns zur Aufgabe gemacht, den sozialen Kontakt in der Gesellschaft und zu anderen Erkrankten zu gewährleisten, damit sie wieder Freude am Leben gewinnen“, sagt Jens Sieber.
Die Aufgaben der Gruppe seien vielfältig. Sie reichen von der Patientenbetreuung über Hilfe bei Beantragen von Rente oder Anerkennung des Behindertenstatus bis hin zur Hilfsmittelversorgung. Es gibt Treffen untereinander, mit anderen Selbsthilfegruppen, aber auch Ausflüge und Freizeitveranstaltungen.
Nach einer weiteren Operation zur Entfernung eines Stimmventils freut sich auch Peter Helisch, wieder am Gruppenleben teilnehmen zu können. Vor acht Jahren wurde Peter Helisch der Kehlkopf entfernt und er bekam eine Sprechprothese eingesetzt. Dieses Ventil stellt eine Verbindung von Luft- und Speiseröhre her, durch die der Betroffene mit Lungenluft wieder durch den Mund sprechen kann. Parallel dazu hat er versucht, mithilfe von Logopädie eine andere Ersatzstimme zu erlernen. Diese wird Oesophagus- (Speiseröhren-) Stimme genannt. Diese hat er in der letzten Zeit so gut erlernt, dass er sich das Stimmventil wieder entfernen lassen hat.
Über solche Erfahrungen tauschen sich die elf Mitglieder der Gruppe aus. Deren Arbeit, so Jens Sieber, werde in geringem Maß durch Fördergeld gesetzlicher Krankenkassen unterstützt. Diese und die Mitgliedsbeiträge reichen aber nicht aus, sodass die SHG auf Spenden angewiesen ist. „Ein kleines Geschenk zum Geburtstag oder der Blumenstrauß für den Krankenbesuch sind beispielsweise bei den Krankenkassen nicht abrechenbar“, sagt er.
„Deshalb ist jede Spende hilfreich und wird selbstverständlich ausschließlich für die Gruppe verwendet, etwa für Miete der Gruppenräume, Referentenhonorare oder Fahrtkosten“, so Jens Sieber. „Deshalb macht es uns traurig, dass die vielen kleinen Spenden von ehrlichen und gutmütigen Menschen so gewissenlos gestohlen wurden“, so der SHG-Vorsitzende.
Gesprächsrunde in der Heimerer Schule
„Die Schüler zeigten sich stark beeindruckt vom Lebensmut“
Döbeln
„Im Unterricht der Fachrichtung Altenpflege behandelte ich die Tracheotomie, einen chirurgischen Eingriff, bei dem ein Zugang zur Luftröhre geschaffen wird“, so Christiane Tänzer.
Andrea, eine Schülerin, schlug vor, ihren Nachbarn in den Unterricht einzuladen. Seit mehreren Jahren ist sein Kehlkopf durch ein Tracheostoma ersetzt.
Einige Tage später bekamen die Sozialpflegeschulen Heimerer GmbH in Döbeln Besuch von Jens Sieber, dem Leiter der Selbsthilfegruppe Mittweida und 2. Vorsitzender des Bezirksverband der Kehlkopfoperierten Chemnitz e.V., sowie seinem Stellvertreter Peter Helisch.
Beide erklärten sich bereit, unseren Schülern etwas über sich, ihre Erkrankung und ihr Leben zu erzählen. Wir organisierten eine Gesprächsrunde mit einer Altenpflege- sowie einer Gesundheits- und Krankenpflegeklasse. Unsere Gäste berichteten über ihre Erkrankung, über positive und negative Erfahrungen mit Behörden und über die Arbeit in der Selbsthilfegruppe.
Gespannt verfolgten alle Schüler die anschauliche Vorstellung von medizinischen Hilfsmitteln und Geräten. Unsere Gesprächsrunde gestaltete sich sehr humorvoll, da sich beide Gäste ihren Witz und ihren Charme auch über schwierige Lebensabschnitte hinweg erhalten haben. Natürlich kamen auch ernste Themen zur Sprache: Wie ändert sich das Leben zum Zeitpunkt der Diagnosestellung? Wie reagiert das Umfeld auf kehlkopflose Menschen?
Unsere Schüler zeigten sich stark beeindruckt vom Lebensmut aber auch von der Offenheit unserer Gäste. Besonders freuten sie sich über umfangreiches Informationsmaterial der medizinischen Hilfsmittelfirma "Andreas Fahl". Ein großes Dankeschön an unseren beiden Gästen sowie an die Schülerin Andrea Kademann, ohne deren Engagement diese Form des Unterrichts nicht stattgefunden hätte.
Christiane Tänzer (Lehrkraft Altenpflege )
Klasse A22 SPS Heimerer Döbeln